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Ein altes Steinkreuz am Wegrand - ein Grund zum Nachdenken
(Foto: Ulrich Siewers)

Wer in der Osteifel lebt und aufgewachsen ist, nimmt sie kaum noch wahr. Dabei sind die zahllosen Wegekreuze aus grauem Vulkangestein etwas Einzigartiges und kaum zu übersehen. Liegt es vielleicht daran, dass sich hinter jedem eine Botschaft steckt, die wir nicht (mehr) verstehen können oder wollen? Dabei lohnt es sich, einmal genauer hinzuschauen und sich Gedanken über den Grund zu machen, warum Menschen diese steinernen Mäler – Denkmäler - aufgestellt haben.

Die zahlreichen Basaltkreuze in der Osteifel sind überwiegend Ausdruck einer tief verwurzelten Volksfrömmigkeit ganzer Generationen. Sie sind steinerne Zeugnisse ihres Glaubens und häufig auch ihres Aberglaubens. Sie verraten uns manches über den Wohlstand oder das Ansehen der Errichter, geben Auskunft über deren Berufe und Gnadenbitten. Sie berichten aber auch von Unglücken, Mord oder der Pest. Und weil sie aus einem extrem witterungsbeständigen vulkanischen Gestein geschaffen wurden, haben sich ihre Botschaften vom Mittelalter bis heute erhalten.


Im Gegensatz zu Begräbnisstätten sind Wegekreuze in der Regel historische Erinnerungsstätten. Der Sinziger Heimatforscher und Buchautor Karl-Friedrich Amendt nennt sie deshalb „Religiöse Kleindenkmäler“. Er sieht sie in der Tradition römischer Weihe- und Votivsteine, die bereits in vorchristlicher Zeit entlang römischer Straßen aufgestellt wurden. Sie berichten uns noch heute von Ereignissen, Besonderheiten und Ängsten der gallo-römischen Gesellschaft vor über 2000 Jahren. So waren im Altertum die Menschen überzeugt, dass an Wegekreuzungen die bösen Geister in Gestalt von Dämonen lauerten, die ständig versuchten, die Reisenden "vom rechten Weg" abzubringen. Man glaubte, durch das Aufstellen von steinernen Mälern, oft in Form von Weihesteinen (Altären), die Götter zu bewegen, "das Böse" abzuwehren.


Römischer Weihestein für den Gott der Händler Merkur
(Foto. Bonner General-Anzeiger)

Nachdem die Römer das Rheinland verlassen mussten, ließen sie zwei wichtige Dinge zurück: Ihre Denkmäler und das noch junge Christentum. Die Franken, die von Osten über den Rhein in die alte römische Provinz vorstießen, konnten lange weder mit dem einen noch dem anderen etwas anfangen. Vieles wurde deshalb sinnlos zerstört.


Die ersten Wegekreuze wurden wahrscheinlich im 8. Jahrhundert errichtet. "Man möge an Wegesecken, wo man sich zu begegnen pflegt, Kreuze errichten", soll Leo III. angeordnet haben, der Papst, der den fränkischen Großkönig Karl am Weihnachtstag 800 zum Deutschen Kaiser gekrönt hat.



Das "Frankenkreuz" in Thür wurde im 8. oder 9. Jahrhundert in der Gemarkung aufgestellt und gehört zu den frühesten Wegekreuzen der Region

(Foto: Ulrich Siewers)

Die meisten Basaltkreuze findet man in einem Umkreis von etwa 30 Kilometern zwischen Rhein, Ahr und Mosel um die Städte Mayen und Mendig mit ihren berühmten Basaltsteinbrüchen. Wie viele es von diesen steinernen Mälern genau gibt, hat noch niemand richtig gezählt. Der Mayener Kurt Müller-Veltin geht von einem Bestand von ca. 4500 Wegkreuzen und ca. 6000 Grabkreuzen aus. Mit seinem Werk "Mittelrheinische Steinkreuze aus Basaltlava" schuf er eine bedeutende wissenschaftliche Dokumentation über diese europaweit einzigartige Ausdrucksform der Eifeler Volksfrömmigkeit. Das Buch wurde vom Rheinischen Verein für Denkmalpflege und Landschaftsschutz e.V. 1980 herausgegen und ist antiquarisch erhältlich.



Der wohl älteste "Schöpflöffel" am alten Pilgerweg von Fraukirch nach Hausen unweit der Straße von Thür nach Polch vor der Kulisse der Vulkanberge
(Foto: Ulrich Siewers)

Dem Urtyp aller Basaltkreuze begegnen wir am häufigsten im Bereich der Pellenz und im Mayener Raum in Form des Nischenstocks, dem so genannten „Schöpflöffel“. Tatsächlich sehen diese Steinmäler wie altertümliche Schöpfkellen aus. Der ausladende, häufig nach oben spitz auslaufende Nischenkopf verjüngt sich im unteren Teil des Schaftes, der häufig in die Mittenöffnung eines steinernen Mühlrades eingelassen wurde. Ursprünglich dürften diese Male wie in anderen Regionen Deutschlands auch aus Holz gewesen sein. Die spätere Verwendung des einheimischen basaltischen Vulkangesteins bei der Erstellung ist jedoch ein Charakteristikum der Osteifel.

Es ist handelt sich auch nicht um einen Bildstock, wie mancher annehmen wird, denn die Nische diente hauptsächlich als Sanktissimum zur Aufnahme der Heiligen Eucharistie bei den alljährlichen Flurumgängen und Bittprozessionen sowohl innerhalb von Ortschaften als auch draußen in der Feldflur. Diese Umgänge gab es bereits in vorchristlicher Zeit und wurden ins christliche Brauchtum übernommen. Sie dienten der Verehrung des Göttlichen verbunden mit der Bitte um Fruchtbarkeit und Schutz vor Unbill aller Art. Die Blütezeit der „Schöpflöffel“ lag im 14. Jahrhundert.

Einer der schönsten "Schöpflöffel" mit dem Kreuz als Lebensbaum über der Sonnenscheibe - beides alte (heidnische) Symbole für Leben, Fruchtbarkeit und Wachstum - steht am Weg von Hannebach nach Schelborn (Foto: Ulrich Siewers)


Als „Segenssteine“ (auch Segensteine) werden vier aufwendig gestaltete Wegekreuze im Oberen Brohltal (alte Herrschaft Olbrück) in der Nähe der Orte Oberzissen, Hain, Spessart und Niederdürenbach bezeichnet. Sie weisen sämtlich eine hausförmige Nische auf, die von nach vier Seiten ausgerichteten, z.T. ineinander verschachtelten Kreuzen bekrönt ist.

Die Funktion dieser Nischenmäler ist eindeutig. Bei den sakramentalen Flurprozessionen nahmen diese Nischen das Gefäß (Burse, Ziborium oder Monstranz) mit dem Leib Christi auf, das nach dem römischen Rituale nur an einem entsprechenden Platz aufgestellt werden darf und mit dem nach den vier Himmelsrichtungen der Segen gespendet wird. Auf vier Stellen des Prozessionsweges verteilt, hat sich die Tradition des Flursegens bei der Fronleichnamsprozession bis heute erhalten.  


Segensstein auf dem Burberg bei Oberzissen von 1599 vor der Kulisse der Burgruine Olbrück
(Foto: Ulrich Siewers)


Spätere Nischenmäler tragen häufig eine Kreuzbekrönung. Anhand der Datierungen lässt sich feststellen, dass es in der Zeit zwischen 1520 und 1580 kaum noch neue Malsetzungen gab. Die Ursache für die 60jährige Lücke war die einsetzende Reformation und die Aussetzungen der alljährlichen Sakramentprozessionen.

Das
"Hagelkreuz" von Kottenheim aus dem Jahr 1582 wurde noch nach der Reformation zur Abwehr von Ernteschäden errichtet
(Foto: Ulrich Siewers)


In der vom Katholizismus geprägten Eifel galt bis zur Reformation die noch aus der Antike stammende Vorstellung, dass die Seelen derjenigen, die ohne den Erhalt der Sterbesakramente zu Tode gekommenen waren (Untote), die Fürbitten der Lebenden benötigten. Aus diesem Grunde wurden zu ihrem Gedenken Steinkreuze errichtet, die den Vorübergehenden ermahnen sollten, ein Fürbittgebet für die arme Seele zu sprechen.

Manche dieser alten Gedenksteine erzählen auch später noch von Mord oder tödlichen Unfällen. Letztere geschahen häufig im Zusammenhang mit der Landwirtschaft oder in den zahlreichen Steinbrüchen. An Unfalltod erinnern auch heute als Mahn- und Gedenkmäler die zahlreichen Holzkreuze entlang unserer Verkehrswege.



Das Kreuz im Mayener Grubenfeld - vermutlich ein Sühnekreuz - berichtet vom Unfalltod eines 44jährigen Steinhauers, der im Jahr 1814 bei einem Arbeitsunfall sein Leben verlor

(Foto: Ulrich Siewers)


Auch an der Stelle mittelalterlicher Richtstätten - hier auf dem Galgenberg bei Niederzissen - wurden häufig Totenmäler errichtet (Foto: Ulrich Siewers)

Eine spezielle Gruppe nennt man Sühnekreuze. Sie entstanden meistens im Zusammenhang mit tödlichen Unfällen oder Totschlagsdelikten. Wurde jemand im Streit oder anderweitig ohne Absicht getötet, musste der Schuldige mit der Familie des Opfers einig werden und für deren Unterhalt sorgen. Es wurden zwischen beiden Parteien privatrechtliche Sühneverträge abgeschlossen, die oft die Errichtung eines Gedenksteins (oder in besonderen Fällen einer Kapelle) beinhalteten. Da der Verblichene ohne die heiligen Sterbesakramente nicht direkt ins Paradies kommen konnte, sollten die frommen Gebete für seine arme Seele die Wartezeit bis zum Jüngsten Gericht verkürzen.

Ein typisches Beispiel für diesen Brauch ist das so genannte „Glockengießerkreuz“, das an einer Wegegabel am alten Weg von Mayen nach Ahrweiler zwischen Engeln und Hannebach steht. Der Legende nach hat an dieser Stelle ein Glockengießer-meister seinen eigenen Gesellen im Zorn erschlagen, weil er eigenmächtig eine Glocke für die Kempenicher Kirche gegossen hatte.

Das "Glockengießerkreuz" am alten Weg von Mayen nach Ahrweiler wird als Sühnekreuz bezeichnet
(Foto: Ulrich Siewers)

Pestkreuze wurden zum Gedenken der Opfer der großen mittelalterlichen und neuzeitlichen Pest-Epidemien errichtet, von denen auch die Osteifel betroffen war. Nicht überall sind diese Kreuze erhalten geblieben, die oft nur aus Holz gezimmert die Begräbnisstätten außerhalb der Dörfer und Städte markierten. Ein typisches „Pestkreuz“ steht oberhalb von Dedenbach neben der Schauinsland-Hütte. In der Flur südlich des Sportplatzes von Spessart markiert ein sehr eindrucksvoller alter Schöpflöffel, dessen Spitze in eine Kreuzform mündet, den alten Pestacker.

Pestkreuz bei Spessart

(Foto: Ulrich Siewers)


Mit der Gegenreformation und des aufkommenden Barock wurden Kreuze aus anderen Beweggründen heraus gestiftet, als die Kreuze des Mittelalters. Die Furcht der Menschen vor Dämonen war weitgehend gewichen. Gründe für die Errichtung waren nun etwa ein Gelübde, der Dank für ein wichtiges Geschehen oder die Errettung aus einer Notlage wie Krieg, Krankheit, Seuche oder Lebensgefahr.

Stifterkreuz des Mattheis Zepp aus Königsfeld von 1786

(Foto: Ulrich Siewers)


Die Datieren und Beschriftungen vieler einheimischer Steinmäler verraten, dass sie nach dem 30jährigen Krieg, aber auch nach den Heimsuchungen durch französische Truppen Ludwig IV. und Napoléons als Dank für das Überleben errichtet wurden. Nicht selten stammen sie auch von einer der zahlreichen geistlichen Bruderschaften, die die im 17. Jh. gegründet wurden. Der dazu erforderliche finanzielle Aufwand war angesichts der damaligen wirtschaftlichen Verhältnisse der Landbevölkerung enorm hoch.

Auch nach dem 2. Weltkrieg wurde so manches Wegekreuz aus Dankbarkeit für das Überleben oder die glückliche Heimkehr aus der Kriegsgefangenschaft gestiftet.


Wenn sich heute der Rheinische Verein für Denkmalpflege und Landschaftsschutz e.V. für den Erhalt unserer Flurdenkmäler einsetzt, hat das gute Gründe. Zum einen, weil es sich um wichtige und wertvolle Kulturgüter handelt, zum anderen weil sie oft mutwillig beschädigt, vom ursprünglichen Standort entfernt oder gar gestohlen werden. Das sind keine Kavaliersdelikte! Der Neuwert eines Basaltwegekreuzes beträgt je nach Größe und Ausführung zwischen 5.000,- und oft mehr als 10.000,- Euro!

Osteifel-aktiv hält es für dringend notwendig, sowohl die einheimische Bevölkerung als auch unsere Gäste zu bitten, ein wachsames Auge auf dieses Kulturgut zu haben und mitzuwirken, es zu erhalten und zu schützen. Wer Beobachtungen macht, die auf Beschädigung oder Diebstahl hindeuten können, sollte nicht zögern, die Polizei zu rufen und, wenn möglich, Beweise zu sichern (z. B. Foto mit dem Handy).


Literatur und interessante Links

Kurt Müller-Veltin: Mittelrheinische Steinkreuze aus Basaltlava. 2. überarbeitete und erweiterte Auflage. Rheinischer Verein für Denkmalpflege und Landschaftsschutz, Köln 2001

Karl-Friedrich Amendt:  Rheinische Wegkreuze - Geheimnisvolle Zeugen mittelalterlichen Denkens, Edition Lempertz, Bonn 2010

Elke Lehmann-Brauns: Himmel, Hölle, Pest und Wölfe. Basaltlava-Kreuze der Eifel. 3. Auflage. Bachem, Köln 1996

Manfred Mehlhop: Alte Steinkreuze im Gebiet der Verbandsgemeinde Brohltal. Mit einer Einführung von Kurt Müller-Veltin. Verbandsgemeinde Brohltal 1993

Eine umfangreiche Datenbank zu den deutschen Wegekreuzen finden Sie >>> hier