Ziel alljährlicher Wallfahrten - St. Jost-Kapelle im Nitztal (Foto: Ulrich Siewers PR)
Viele Wege führen nicht nur nach Rom, sondern auch nach Sankt Jost. In der stillen Abgeschiedenheit der Hohen Eifel, die nur an Schönwetterwochen vom Motorenlärm des nahen Nürburgrings gestört wird, schmiegt sich das kleine, schiefergedeckte Wallfahrtskirchlein mit dem filigranen Spitztürmchen ans Ostufer des Nitzbachs. Es ist dem Heiligen Jodokus geweiht.
Der Legende nach war Jodok (kelt. = Krieger) ein bretonischer Prinz. Um 640 verzichtete er auf die Thronfolge. Er wurde statt dessen Priester und gründete eine Einsiedelei in Montreuil bei Boulogne, aus der später die Benediktinerabtei Saint-Josse-sûr-Mèr entstand. Während einer Pilgerreise nach Rom begegnete er Jakob (dem Älteren, vgl. „Jakobsweg“). Seitdem gilt Jodokus (lat.), auch Jost oder Jobst genannt, als Schutzheiliger der Pilger, Schiffer und Bäcker, der Blinden, der Siechenhäuser und der Haustiere. Die Gläubigen bitten in seinem Namen um eine gute Ernte, für Schutz gegen Gewitter, Schadenfeuer, Getreidebrand, Fieber, Pest und andere Krankheiten, insbesondere gegen Halsleiden. Seine Verehrung ist seit dem 9. Jahrhundert in Deutschland weit verbreitet. Auch in der Eifel, so beispielsweise im Bereich der Klöster Prüm und St. Maximin zu Trier, wurde um seinen Beistand gebetet.
Im Jahr 1436 wird die Kapelle St. Jost erstmalig in einer Grenzbeschreibung erwähnt. Offiziell entstand sie allerdings erst 1464, erbaut von Graf Philipp von Virneburg. Das Wappen im Gewölbeschlussstein des Chorraumes liefert den historischen Hinweis. Dieser älteste Teil der Kapelle im Stil der Gotik weist noch Teile des alten Freskenschmucks auf. Der prächtige Barockaltar wurde 1655 geweiht.
Auch um die Entstehung der Kapelle ranken sich Legenden. Eigentlich sollte sie am Fuß des Burgbergs in Virneburg errichtet werden. Während eines plötzlich einsetzenden Unwetters riss das Hochwasser der Nitz das gesamte Baumaterial mit sich. Zwei Kilometer talabwärts wurde es wieder gefunden. Der Graf glaubte an ein Zeichen des Himmels und ließ an der Stelle, wo das Bauholz angespült worden war, die Kapelle errichten.
Von seiner Reise nach Frankreich brachte einer der Grafen vonVirneburg im 14. Jahrhundert Reliquien des Heiligen aus St. Josse mit und stellte sie in der Kapelle aus. Schon bald wurde sie das Ziel frommer Pilger. Bereits im 16. Jahrhundert musste das mittlerweile viel zu klein gewordene Gotteshaus erweitert werden. Nachdem am 14. Oktober 1702 der damalige Papst Clemens XI. in Rom einen Pilgerablass beim Besuch der Reliquien des Hl. Jodokus gewährte, setzte im stillen Nitztal schon kurze Zeit später ein geschäftiges Treiben rund um den Ablasshandel ein.
Die allgemeine sittliche Verwahrlosung der Bevölkerung als Folge des
Dreißigjährigen Krieges und der französischen Raub- und Reunionskriege
veränderte auch das Pilgerwesen im Bistum Trier. Reue und fromme Demut
wurden häufig ersetzt durch Neugier, Abenteuerlust und Völlerei. Es soll auch zu unzüchtigem Verhalten während der Pilgerfahrten gekommen sein.
Rastende Pilger Lucas van Leyden (16. Jh.)
Im 18.
Jahrhundert durften auf Anordnung der Behörden aus diesen Gründen keine Gottesdienste
mehr in St. Jost abgehalten werden. Auch die Wallfahrten mussten
eingestellt werden. Die Reliquien wurden von St. Jost in die
Pfarrkirche zu Langenfeld überführt, wo sie seitdem aufbewahrt werden.
Postkarte von Langenfeld-St. Jost um 1908 (Sammlung Hans Schmitz)
Als Folge der französischen Revolution – Besetzung des Rheinlandes und Säkularisation – geriet St. Jost schon bald völlig in Vergessenheit. Die Kapelle diente während vieler Jahre lediglich als Scheune und Viehstall.
Erst im 19. Jahrhundert wurden wieder Gottesdienste
abgehalten. Die Wallfahrten nach St. Jost werden seitdem alljährlich an
den zwei letzten Wochenenden im September und den zwei ersten
Wochenenden im Oktober durchgeführt und finden in letzter Zeit, auch bei
der Jugend, zunehmend Zuspruch. 2010 haben sich über 4 000
Pilger aus rund 50 Gemeinden der
Eifel, vom Rhein, von der Mosel und der Ahr zur Teilnahme angemeldet.
Wir betreten das Gotteshaus durch die noch immer unverschlossene(!) kleine Pforte. Kühle umgibt uns und zunächst müssen sich unsere Augen an die Dunkelheit im Innern gewöhnen.
Kaum an die dunkle Umgebung angepasst, fasziniert der Anblick des farbenprächtigen Hochaltars im sonst eher schmucklosen Chorraum. Aus heimischem Tuff schuf ein unbekannter Meister der Mayener Schule im 17. Jahrhundert ein Kunstwerk, das eine ungeheure Lebensfreude und Hoffnung ausstrahlt. Es lohnt sich, die Fülle der Details genau zu betrachten, um die Gesamtwirkung der bildhaften Darstellungen zu verstehen. In unserer heutigen Kommunikationsgesellschaft begreifen nur noch wenige die Intensität dieser Botschaften, die unsere einfach denkenden, unaufgeklärten Vorfahren zu verinnerlichen wussten.
Gesamtansicht des Hochaltars und Wandfresken aus dem 15. Jhdt. (Foto: Ulrich Siewers PR)
Über dem Altartisch erkennen wir die Szene der Verkündigung. Der Engel überbringt der jungen Maria die Botschaft ihrer baldigen Schwangerschaft. Maria kniet dabei vor einem Lesepult, vor ihr die aufgeschlagene Bibel. Der Engel reicht ihr das Symbol der Reinheit in Form eines dreiblütigen Lilienstängels. Es spielt dabei keine Rolle, ob Maria des Lesens kundig war. Die Bildersprache will vermitteln, dass das Ereignis durch das Bibelwort vorgeschrieben und somit unabwendbar war. Das Symbol der (dreifachen) Reinheit schließt dabei jegliche Sünde aus, also auch die Folgen jeglicher sexueller Befriedigung.
Verkündigung und Geburt Christi (Foto: Ulrich Siewers PR)
Im Zentrum darüber steht die nächtliche Geburt Christi im Stall von Bethlehem. Umgeben von Schafhirten, sehen wir die Heilige Familie rund um die Krippe im offenen Stall, flankiert von Ochs und Esel. Im Hintergrund ruhen Schafe auf der Weide und über dem Stall schweben zwei Engel mit der geschriebenen Botschaft GLORIA IN EXCELSIS DEI – Ehre sei Gott in der Höhe. Auffallend in der Darstellung sind die vielen Details.
Detailaufnahme der Hauptszene (Foto: Ulrich Siewers PR)
Die Hirten tragen die typische Pilgertasche aus Leder
und die sogenannte Hippe, den in der Eifel heute noch verbreiteten
Hütestock mit der eisernen kleinen Schaufel an der Spitze. Sie wird von
den Schäfern zum Reinigen der Schafsklauen verwendet. Als Geschenk
haben die Männer einen Korb Äpfel mitgebracht, möglicherweise auch die
Wachskerze, mit der Josef ein wenig Licht und Wärme über dem
unbekleideten Kind im Stroh verbreitet. Der kniende Hirte links im
Vordergrund hat als Geste der Verehrung und Demut seinen Hut zu Füßen
des Kindes abgelegt. Es sind einfache Menschen der ländlichen Umgebung,
die als erste den Gottessohn erblicken dürfen. Ihre bescheidenen
Opfergaben sind hoch willkommen und werden dankbar angenommen. Die
Geburtsszene wird flankiert von zwei Heiligen, dem Hirtenheiligen
Leonhard (mit der Kette) links und dem Pilger Jakobus rechts, erkennbar
am Pilgerstab und dem mit Muscheln verzierten Pilgerhut.
Über der Geburtsszene findet die Anbetung der Drei Könige statt. Ihre Geschenke sind prunkvoll. Josef hält sich im Hintergrund, zusammen mit den königlichen Dienern. Ochs und Esel werden verdrängt. Ein gesatteltes Pferd ist zu sehen, darüber der Stern von Bethlehem.
Statt des einfachen Stalles bildet ein prunkvoller
Torbogen den Hintergrund, der zu einer Burg gehört. Und doch gleicht
das Bild der vorigen Szene. Der König vorn links kniet in der gleichen
Demutshaltung wie der beschriebene Hirte. Seine Krone liegt zu Füßen
des Kindes, das auf dem Schoß seiner Mutter Maria sitzt. Diesmal sind
es zwei heilige Frauen, die die Szene flankieren. Links die Hl.
Katharina mit dem Rad, rechts die Hl. Barbara mit der Hostie. Ganz oben
auf dem Altar, über der Anbetungsdarstellung, reitet St. Georg auf
einem Schimmel und triumphiert über den Drachen, dem Sinnbild allen
Übels.
Anbetung der Hl. Drei Könige (Foto: Ulrich Siewers PR)
Die einzelnen Szenen sind umgeben von stilisierten Marmorsäulen, die von üppigen Weinreben umrankt werden. Die Halbkuppeln der Figurnischen bilden Jakobsmuscheln, das Symbol für Pilgertum und Wallfahrten. Rotwangige Engelsköpfe und die Verwendung von reichlich Blattgold verleihen dem Gesamtwerk barocken Glanz und Ausstrahlung.
Die Wallfahrer haben oft stundenlange Fußmärsche hinter sich, wenn sie in St. Jost ankommen (Foto: Ulrich Siewers PR)
Die frommen Pilger betrachteten den Altar nie als
ein bloßes Kunstwerk. Sie erkannten vielmehr die Botschaften in den
Darstellungen und wussten die zusammenhängenden Bedeutungen der Symbole zu
interpretieren.
Das Kind Christus, umgeben von Heiligen, die bis auf den hl. Jakobus zu den wichtigsten Nothelfern zählen, ließ sie in ihrer seelischen und
wirtschaftlichen Not hoffen und neuen Mut schöpfen. Die Aussicht auf gute
Ernten, Gesundheit von Mensch und Vieh und der tiefe Glauben, dass das Leben im
Jenseits durch ihr religiöses Verhalten garantiert werde, ließ die Wallfahrt
nach St. Jost zu einem Zentralereignis in ihrem Leben werden. Dass sie dafür
Opfer zu erbringen hatten, war für sie trotz aller persönlichen Not ganz
selbstverständlich.
St. Jodokus, dargestellt als einfacher Ordensmann und Votivtafeln, die gläubige Pilger als Dank für die erfahrene Hilfe aufgestellt haben (Foto: Ulrich Siewers PR)
Der eigentliche Patron des Kirchleins, der Hl.
Jodokus, darf natürlich auch nicht fehlen. Er begegnet dem Betrachter in Form
einer schlichten Holzfigur, umgeben von einigen wenigen Votivtafeln an der Wand. Diese Bescheidenheit hat einen wichtigen Grund. Nichts soll heute
an den ausufernden Jodokuskult von früher erinnern, der mit Frömmigkeit
nichts mehr zu tun hatte.
Wenn heute im Herbst gläubige Menschen zur Wallfahrt
nach St. Jost aufbrechen, kommen sie im Vertrauen auf den Heiligen Jodokus, dass
er sich ihrer Anliegen und Sorgen annehmen möchte. „Mehr als zu allen Zeiten
brauchen die Menschen Halt, um nicht irritiert durch die Welt zu laufen“, meint
der Trierer Weihbischof Jörg Michael Peters anläßlich eines Besuchs in St. Jost. Jodokus sei gerade in der heutigen Zeit ein Vorbild für
die Menschen.
Verbandsgemeindeverwaltung Vordereifel Touristik-Büro
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